Tuesday, 7. January 2014Augmented RealityHansenet war geil. Heute kann man es sich kaum noch vorstellen, aber damals, als ich Kunde geworden bin, konnte sich das Unternehmen vor Lobhudelei kaum retten. 6 MBit! Flat! Anständige Vertragsbedingungen! Kompetente Hotline! Es war sogar cool, dort Kunde zu sein, geradezu avantgardistisch. Der Laden wurde weiterempfohlen. Ein Telefonanbieter! Es kam, wie es kommen musste. Der kleine Anbieter aus Hamburg wurde erfolgreich. Irgendwann kam die Einführung von SAP, möglicherweise die Ursache für die Probleme mit der Rechnungslegung. Nach der Übernahme des deutschen Zugangsgeschäfts von AOL und der Verschmelzung mit O2 unter dem Dach der spanischen Telefónica haben wir es nun mit einem Konzern zu tun, der verflucht wird wie jeder andere Telefonanbieter auch. Heute hat mir O2 das Internet abgeklemmt. Ich gebe zu, es ist eine Lastschrift zurückgegangen. Die unvermeidliche Mahnung ist auf den 27.12. datiert. Ich habe mich nach meinem Ermessen zügig darum gekümmert, den Betrag auszugleichen. Das war gar nicht so einfach. Am 30.12. habe ich versucht, bei der Bundesfinanzagentur meine Tagesanleihen abzustoßen, die eh keine nennenswerten Zinsen bringen. Mein Auftrag wurde zunächst nicht angenommen, weil das werte System gerade damit befasst war, die Zinsen zu berechnen. So dauerte es bis zum sechsten Januar, bis ich überweisen konnte. Selbstverständlich inklusiv Rücklastschriftgebühr. Heute, am siebten, war abgeklemmt. Mein Anruf wurde direkt in eine Spezialabteilung geleitet, da man mit mir noch über die Rechnung sprechen wollte. Nun gut, das war genau mein Anliegen. Ich sagte, dass das Geld da sein müsse. Da ich mich ein wenig mit SEPA auseinandergesetzt habe, weiß ich, dass digital eingereichte Überweisungen inzwischen maximal einen Werktag dauern dürfen. Die Frau am anderen Ende der Leitung widersprach mir: ein bis drei Tage könne das dauern. Nun ja. Eigentlich wollte ich gerade eine schnellere Leitung bestellen. Leider kann O2 die derzeit an meiner Adresse nicht zur Verfügung stellen. Und wenn, dann sowieso nur mit Drossel. Das kann ich gerade noch verschmerzen. Wenn ich abends bei der Hotline anrufe, und man mir sagt, dass es etwas größeres sei und dass die Behebung der Störung etwas länger dauere, kann ich das entschuldigen — wir sind alle nur Menschen. Aber ich finde, dieses drastische Vorgehen gegenüber einem Kunden, der seit über zehn Jahren treu ist, der seit 10 Jahren zahlt, sagt einiges über die Unternehmenskultur aus. O2 ist eiskalt. O2 verzeiht keine Fehler. Und O2 schert sich auch nicht. In der Mahnung klingt das so: „Auf den Zeitpunkt der Freischaltung haben wir leider keinen Einfluss.“ Das ist doch mal eine erhellende Selbsterkenntnis. Nach Zahlungseingang und interner Buchung genehmigt man sich bis zu 48 Stunden. Das Telefon sperrt O2 übrigens nicht. Man muss wissen, dass Telefongesellschaften Terminierungsentgelte zahlen müssen, wenn einer ihrer Kunden einen Mobilfunkanschluss eines anderen Anbieters anruft, hingegen vermutlich keine oder zumindest kaum Mehrkosten haben, wenn der Internetanschluss benutzt wird. Obendrein gibt es die Möglichkeit zu drosseln. Insgesamt sehe ich starke Indizien dafür, dass sich das Unternehmen durch die Sperrung gar nicht vor Kosten zu schützen versucht, die am Ende durch den Kunden nicht gedeckt werden, sondern dass es darum geht, zu drohen und zu strafen. Es geht noch weiter. Das ganze Verfahren ist automatisiert. Der Mechanismus, der bewirkt, dass die Einwahl einige Zeit nach einer Rücklastschrift scheitert, wenn das Geld nicht eingeht, muss durch einen Programmierenden implementiert werden. Dieses Exemplar hat sich entschieden, Verbindungsversuche in feinster Mundart und im Duzton mit der Meldung zu quittieren: „Du kommst hier nit rein! 11“. Man beachte das dezent eingestreute Kulturgut. Indem es Häme in meine Protokolldatei schreibt, erlaubt es mir an Marketing und Inkasso vorbei einen tieferen Blick in das Unternehmen. Das nenne ich Augmented Reality. Wenn Kabel Deutschland die Hardware bis übermorgen liefert, braucht O2 gar nicht wieder anzuklemmen. Ein Wermutstropfen dabei ist natürlich, dass, wie ich eben erfahren habe, Kabel Deutschland inzwischen zu Vodafone gehört und damit im Einflussbereich des britischen Geheimdienstes GCHQ liegt. Ich werde dem Anbieter dennoch eine Chance geben und sehe es mal als sportliche Herausforderung, meine Kenntnisse in digitaler Selbstverteidigung auszubauen.
Geschrieben von Sven Lauritzen
in IT, Verbraucher, Wirtschaft
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23:00
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Monday, 26. August 2013Kafka in MöbelnVor einiger Zeit habe ich mir einen Rollcontainer bestellt. Qualitativ war alles in Ordnung. Das habe ich möglicherweise dem Mitarbeiter mit der Personalnummer 650 zu verdanken: Der Zettel, den ich in einer Schublade des Rollcontainers gefunden habe, ist etwa so groß wie eine Zigarettenschachtel. Ich frage mich, was wohl passiert wäre, wenn ich tatsächlich etwas zu beanstanden gehabt hätte und mir der Zettel in der Kartonage verschütt gegangen wäre. Hätte man meine Reklamation abgelehnt? Was, wenn ein Mitarbeiter die Qualitätskontrolle umgangen hätte — so etwas soll vorkommen — hätte man mein Begehren nach Nachbesserung oder Austausch brüsk zurückgewiesen mit dem Hinweis auf einen Zettel, der nie existiert hat? Jedenfalls habe ich jetzt ein Problem: Ich habe gar keinen Ordner für interne Vermerke von Dienstleistern. Eine Lösung habe ich aber auch. Ich blogge einfach über den Unsinn und schreddere anschließend den Zettel. Falls mir doch noch ein verdeckter Mangel auffallen sollte, kann ich so einfach den Link mitschicken.
Geschrieben von Sven Lauritzen
in Alltag, Verbraucher, Wirtschaft
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14:12
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Thursday, 2. May 2013Fußball und GerechtigkeitGestern bei Markus Lanz hat Mario Basler sich darüber mokiert, dass im Netz über die Fußballer gepöbelt werde, unter anderem wegen der Gehälter. Lanz zitiert bezüglich des Wechsels von Götze sinngemäß (Lanz) Günther Jauch (etwa ab 53:30): „Solange jemand anderer mit denen immer noch mehr verdient, als das, was der Verein dafür bezahlt, ist das auch in Ordnung, das ist Marktwirtschaft.“ Das blieb unwidersprochen. Jauch und in seinem Windschatten Lanz nehmen hier wieder einmal den Markt als moralische Grundlage für die auseinanderklaffende Einkommensschere her. Dabei funktioniert die Argumentation doch nur umgekehrt: Die Gerechtigkeit ist der Wert, und die Marktwirtschaft dient als Werkzeug, um sie herzustellen. Wenn die Einkommen als ungerecht wahrgenommen werden, ist doch zu fragen, ob die Marktwirtschaft in der Form, wie sie derzeit ausgestaltet ist, als Werkzeug taugt. Damit mich auch Basler versteht: Wenn zu viel gefoult wird, weil eben die Regeln das zulassen, kann man nicht einfach behaupten, Fouls wären korrekt. Man sollte zusehen, dass man die Regeln verschärft. Uli Höneß hat auf der Jahreshauptversammlung seines Vereins 2007 ein schönes Schlaglicht auf Sicht der Vereine geworfen. Hier geht es um die andere Seite, nicht um den Mitarbeiter, sondern um den Kunden: [...] dass wir dieses Stadion hingestellt haben. Aber das hat 340 Millionen Euro gekostet, und das ist nun mal mit sieben Euro in der Südkurve nicht zu finanzieren. Ich hätte da eine Idee …
Geschrieben von Sven Lauritzen
in Medien, Politik, Verbraucher, Wirtschaft
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15:17
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Thursday, 25. October 2012Bloß nicht ansprechenDer Bundesrechnungshof verlangt von der Bundesbank, dass sie die im Ausland gelagerten Goldbestände überprüfe. Nun fängt die Journaille an, sich darüber zu moquieren. Da wird kühn der Goldstandard in die Geschichtsbücher verbannt und über deutsche Befindlichkeiten lamentiert. Nein, auch ich denke nicht, dass wir vom Gold satt werden, wenn es mal ganz dicke kommt, und ich sehen auch keinen Sinn darin, den Goldstandard wieder einzuführen. Bretton Woods ist gescheitert. Mir will es aber andererseits auch nicht einleuchten, wie ein wenig Golddeckung einer Währung schaden sollen. Außerdem geht es um so viel Kohle, dass wir damit fast eine Hypo Real Estate retten könnten. Noch etwas spricht dafür, mal nachzugucken. Wenn man sich nach langer, langer Zeit noch erinnert, wem man ein bestimmtes Buch geliehen hat, verlangt man es vielleicht doch nicht zurück. Vielleicht nur, weil man dem anderen nicht zumuten will, im Keller ganz unten im hintersten Umzugskarton nachzuschauen. Oder, weil man nicht mehr mit der Existenz des Buches rechnet. Dabei geht es dann aber nur um ein Buch, und nicht um ein halbes Volksmonatseinkommen. Spricht etwas dagegen, wenn der Bundesrechnungshof seiner Aufgabe nachkommt? Oder sehen die Herren Wirtschaftsexperten im Controlling ihrer Verlagshäuser auch nur kleinkarierte Spielverderber? Ehrlichs Vergleich des Goldes mit dem Geld auf einem Konto hinkt übrigens auch ganz gewaltig. Das Gold ist nämlich teils sogar gegen Gebühr deponiert. Auf eine Einlage auf einem Konto dagegen gibt es Zinsen. Sehen wir es doch mal so: Wäre das Geld weg, würden wir uns in Zukunft wenigstens diese Gebühr sparen. Oder ist auch das egal, weil man Geld nicht essen kann? Um den Vergleich dennoch zu bemühen: Ich befürworte einen Realitätscheck. Meine Kontoauszüge muss ich auch regelmäßig kontrollieren, um sicherzustellen, dass nicht eine Räuberbande per Lastschrift alles leergeräumt hat. Tuesday, 26. June 2012Wussten sie nichts?Das Hilfspaket ist geschnürt, und Moody's fällt nicht besseres ein, als die spanischen Banken herabzustufen. Aufgabe der Ratingagenturen ist es eigentlich, das Kreditausfallrisiko zu bewerten. Das dürfte durch die Finanzhilfen eigentlich gesunken sein. Die Herabstufung ließe sich für mich nur auf zwei Weisen erklären: Moody's wusste gar nicht, dass die spanischen Banken klamm sind. Das allerdings würde die Qualität des Urteils durch die Ratingagentur doch arg in Zweifel ziehen. Oder Moody's Bewertungen beruhen auf so plumpen Kriterien, dass sie das Papier nicht wert sind, auf dem sie gedruckt sind. In keinem der Fälle jedenfalls erscheint es vernünftig, dass Ratings in die Bilanzen der kreditgebenden Banken einfließen – und das ist zur Zeit gesetzlich vorgeschrieben, wenn die Bank nicht für viel Geld ein internes Rating erstellt. Friday, 30. March 2012Ich liebe trash-mail.comIch habe eben einen Newsletter von der Gamigo AG erhalten. Darin war auch ein Link, um den Newsletter abzubestellen. Dazu musste ich mich dann erst einmal einloggen. Das Passwort hatte ich noch, ich hatte mich einst angemeldet, um ein aus damaliger Sicht technisch herausragendes 3D-Spiel anzuschauen, das mir empfohlen wurde. Nun funktionierte das Passwort aber „aus Sicherheitsgründen“ nicht. Da war doch was: Ja, die haben mal ihre Datenbank verloren. Gut, das kommt in den besten Familien vor. Ich habe also mein Passwort über die Passwort-vergessen-Funktion neu gesetzt und mich angemeldet. Und siehe da: Das Häkchen für den Newsletter war eh nicht gesetzt. Das ist ein ganz klares Indiz dafür, dass auf das Häkchen auch wenig Rücksicht genommen wird. Also versuchte ich meinen Account zu löschen. Mangels Knopf dafür blieb das erfolglos. Glücklicherweise fand ich eine Funktion, um die E-Mail-Adresse zu ändern. trash-mail.com ist ein E-Mail-Dienst, der mir sehr gut gefällt. Man braucht seinen Account dort nicht einmal zu registrieren. Ich habe also einfach eine trash-mail.com-E-Mail-Adresse eingegeben, bei trash-mail.com den Bestätigungscode abgeholt und eingegeben. Da bei Gamigo sonst nur noch Benutzername und Passwort von mir gespeichert sind, werde ich jetzt wohl unbehelligt bleiben. Gut – mein Vorgehen widerspricht möglicherweise den Geschäftsbedingungen der Gamigo-AG, das habe ich nicht geprüft. Aber dann sollen sie mir doch kündigen. Die Widerspruchsfrist werde ich sicher versäumen.
Geschrieben von Sven Lauritzen
in IT, Verbraucher, Wirtschaft
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09:23
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Sunday, 30. October 2011Nicht weniger als eine FinanzmarktunionDie G20 planen einmal wieder den großen Wurf. Anders als Attac habe ich gar nichts dagegen, dass die Jungs und Mädels sich mal unterhalten. Täten sie nur am Ende auch mal was für die kleinen Leute, und nicht nur für die großen Konzerne. Vor dem Hintergrund der weltweit sich verfestigenden Occupy-Bewegung könnte dieses mal am Ende vielleicht doch etwas herauskommen. Mir schwebt ja eine Finanzmarktunion vor, organisiert vielleicht nach dem Vorbild des Rates der Europäischen Union, angesiedelt möglicherweise bei den Vereinten Nationen. Die demokratische Legitimation ist mir da erstmal fast egal, wichtiger ist es, dass die Politik endlich die Macht über das Kapital zurückgewinnt. Diese Union
Darüber hinaus sind weitere Maßnahmen denkbar. Bonuszahlungen sind mir dabei völlig egal. Sobald der Finanzsektor auf ein volkswirtschaftlich sinnvolles Maß zurechtgestutzt ist, wird dafür eh kein Geld mehr über sein. Ja, und ich pfeife in dem Punkt auf die Souveränität der Nationalstaaten. Was nützt die unter der Knute der Finanzmärkte? Der Beitritt zur Union sollte jedem Land offenstehen. Wednesday, 26. October 2011Datenservice der Deutschen PostWenn ich einmal bei Möbel Kraft kaufe, sage ich, dass ich keine Gutscheine habe. Dann bekomme ich den Rabatt auch so eingeräumt. Das war schon bei meinem Jugendzimmer so, auf das es gegen ein wenig Lamentieren Rabatt gab. Heute habe ich Gutscheine von Möbel Kraft bekommen. Ich brauche die nicht. Ich trage die zum Altpapier. Deshalb hatte ich Möbel Kraft schon am ersten April gebeten, mir keine Gutscheine mehr zu schicken. Ich war mir sicher, dass ich das getan hätte, denn ich habe ja einige Zeit lang keine Gutscheine mehr erhalten. Ich lag richtig, das genaue Datum habe ich eben an der Hotline erfahren. Die freundliche Mitarbeiterin teilte mir mit, dass eine Kollegin am ersten April das Häkchen gesetzt habe, dass ich keine Post mehr haben wolle. Darüber hinaus erfuhr ich, warum ich trotzdem Post bekommen habe: Nach Auskunft von Möbel Kraft ist es die „Deutsche Post Direkt GbmH“, deren Abteilung „Datenservice“ meinen Wunsch, unbelästigt zu bleiben, ignoriere. Das nenne ich einmal einen schönen Anwendungsfall für § 34 und § 35 Bundesdatenschutzgesetz. Da lassen sich möglicherweise mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Update 28.11.2011: Mir fällt gerade auf, dass die Telefonzentrale sehr gut informiert war. Ohne weiterzustellen konnte man mir das Datum meines letzten Anrufs und die Adresse der Deutsche Post Direkt GmbH sagen. Postfachnummer eingeschlossen. Das wird kein Zufall gewesen sein. Saturday, 24. September 2011FlexibilitätVon den Wirtschaftsvertretern und Personalverwaltern tönt es seit spätestens den 90er Jahren, dass der Mensch flexibel sein müsse, wenn er auf dem Arbeitsmarkt eine Chance haben wolle. Gar nicht flexibel hingegen zeigte sich die Industrie im letzten Jahr, als die Winterstiefel ausgingen und sich auch keine neuen liefern ließen, so dass das Volk Eiseskälte und Schneeplage ungeschützt ausgesetzt war. Selbst Globetrotter sagte mir zunächst eine Lieferung zu, musste am Ende aber doch passen. Die Qualen des letzten Winters noch im Gedächtnis habe ich mich also wiederum flexibel gezeigt und bei 20 °C Außentemperatur Winterstiefel besorgt. Hoffentlich erinnere ich mich im Dezember noch, wo ich den Karton hingestellt habe und dass ich die Stiefel noch imprägnieren soll. Thursday, 7. July 2011Am PrangerDie FTD findet es richtig, dass Moody's Portugals Rating um vier Stufen absenkt, und kritisiert in ihrem Leitartikel diejenigen, die die Herabstufung ungerechtfertigt finden. Die Agenturen seien in der Finanzkrise gescholten worden, dass sie die Risiken zu spät erkannt hätten. Jetzt seien sie zu voreilig, da stimme doch etwas nicht. Das Rating, von den Agenturen selbst als pure Meinungsäußerung abgetan (hier: Fitch, PDF, siehe zweite Seite), um sämtliche Haftungsrisiken zu vermeiden, sollte doch eigentlich dem Investor ein Bild davon vermitteln, wie hoch das Ausfallrisiko eines Gläubigers ist, damit der einen angemessenen Zins nehmen kann oder im schlimmsten Fall die Finger von einem Geschäft lässt. Schauen wir auf Portugal, so ist festzustellen, dass sich die Lage für die Gläubiger entspannt hat. Es gibt ein Sparprogramm, und das Land ist unter den Rettungsschirm gekrochen. Das heißt, dass Europa jetzt für Portugal haftet. Man ahnt, wie das weitergehen wird. Selbst wenn sich Portugal als Fass ohne Boden erweisen sollte, wird Europa da nicht mehr aussteigen. Der Point of no Return ist mit dem ersten geflossenen Euro erreicht. Von da an läuft es scheibchenweise. Es wird immer günstiger aussehen, weiteres Geld nachzuschießen, als einen Schuldenschnitt bei den bereits gewährten Krediten hinzunehmen. Eine Herabstufung Portugals um vier(!) Stufen erscheint vor dem Hintergrund als völlig unsinnig. Als der portugiesische Haushalt aus dem Ruder lief, bevor klar war, dass Rettung naht, da hätten die Agenturen die Gläubiger warnen müssen. Moody's leistet sich stattdessen einen Treppenwitz. Die FTD fällt darauf herein und kritisiert die Kritiker. Man wirft den Agenturen vor, sie wirkten prozyklisch und krisenverschärfend. Das ist richtig, bringt aber nicht ausreichend auf den Punkt, in welch katastrophalen Zustand die Branche ist. Ratings könnten nämlich sehr nützlich sein, wenn sie denn tatsächlich eine zuverlässige Auskunft über die langfristige Solvenz eines Gläubigers geben könnten. Sie haben aber eher die Funktion von Prangern auf den Finanzmärkten. Wer angeschlagen ist, auf den wird mit dem Finger gezeigt. Eine steuernde Funktion haben sie nicht. Die Agenturen schlagen erst Alarm, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, egal, ob die Eltern samt Feuerwehr schon am Rand stehen oder nicht. Und dieser Unsinn ist der allübergreifende Maßstab in unserem Finanzsystem. Am Rating wird das Eigentkapital von Banken gemessen, daran misst sich, worin Versicherer die Kundengelder anlegen dürfen, und selbst die EZB nimmt das Rating als Maßstab dafür, was sie als Sicherheit akzeptiert. Zur Krönung wird Kompetenz und Verantwortung an diese Experten outgesourct, die eigentlich nicht mehr als eine Meinung haben und keine Verantwortung übernehmen wollen. Welcher Landesbanker wird sich vorwerfen lassen, fahrlässig gehandelt zu haben, als er vor der Finanzkrise in den US-Immobilienmarkt investiert hat? Waren die Papiere nicht hervorragend geratet? Die Ratingagenturen haben wohl recht, Buchstaben statt Zahlen zu liefern. Würden sie Zahlen liefern, beispielsweise über Wahrscheinlichkeitsklassen wie „Ausfallwahrscheinlichkeit in den nächsten zwei Jahren 1%“, wären sie schnell entlarvt. Die breite der Kluft zwischen Prognose und Realität ließe sich dann nämlich messen. Bevor sie Zahlen liefern und sich messen lassen, sollten wir Ratingagenturen nicht ernst nehmen.
Geschrieben von Sven Lauritzen
in Medien, Politik, Wirtschaft
um
12:58
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