Weil die Piratenpartei mehr Transparenz in der Politik fordert, macht sich Ulrike Sosalla von der „Financial Times Deutschland“ Sorgen um ihre Privatsphäre. Das ist verständlich. Denn das Unbekannte macht immer ein wenig Angst. Und Sosalla schreibt in haarsträubender Unkenntnis des Themas. Da fällt es dann auch leicht, die Befürworter größerer Transparenz gleich als erstes mit dem Kampfbegriff „Gutmenschen“ abzukanzeln. Das ist hübsch gebrüllt, hilft aber der gehaltlosen Argumentation nicht auf die Beine.
„Transparenz muss ihre Grenzen haben“, lautet ihr Credo und der Titel ihres Kommentars. So möchte sie Einblickmöglichkeiten in Geheimdienste „nicht um den Preis von Vorratsdatenspeicherung und Fluggastdatenübermittlung.“ – Wenn sie es sich, nach ihren Worten, so recht überlegt. Ich kommen auch nach einigem Überlegen nicht darauf, wie Vorratsdatenspeicherung und Fluggastdatenübermittlung zur Transparenz unserer Geheimdienste beitragen könnten. Sosalla wirft hier zwei Dinge durcheinander: Das Wissen des Volkes über den Staat und das Wissen des Staates über das Volk. Ich weiß nicht, wie lange die stellvertretende Ressortchefin Politik das Geschehen um die Piratenpartei schon beobachtet. Deswegen sei mir der Hinweis erlaubt, dass einer der bekanntesten Slogans der politischen Newcomer lautet: „Transparenter Staat statt gläserner Bürger“.
Ganz unbekannt sind ihr diese feinen Unterschiede aber dann doch nicht. So zeigt sie sich ihrem Staat dankbar, indem sie feststellt, dass das Briefgeheimnis „sogar“ im Grundgesetz stehe. Ganz richtig erkennt sie, dass die Grundrechte den Bürger vor dem Staat schützen und treffend stellt sie auch den Zusammenhang mit dem Recht auf Informationelle Selbstbestimmung her, das das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil aus den Grundrechten abgeleitet hat. Wozu also die vielen Worte um Vorratsdatenspeicherung und Fluggastdatenübermittlung?
Ich vermute, Sosalla möchte es ein wenig menscheln lassen, Betroffenheit erzeugen. Darauf deutet auch ihre Feststellung hin, es sei sinnvoll, „den Innenminister [sic!] auch vor den Transparenzidealen seiner Bürger zu schützen [...]“. Sie legt eine spannende Begründung nach: „[...] nach außen muss er [der Staat] sich gegenüber einer Menge anderer Staaten behaupten, von denen einige stärker und skrupelloser sind als die eher zahme Bundesrepublik.“ Ich hoffe, man unterstellt mir keine Arroganz, wenn ich behaupte, ich hätte dazu einen besseren Vorschlag. Ich würde anstelle einer Verringerung der Transparenz im Innenministerium zu dem Zweck eher einen neuen Außenminister empfehlen.
Ich fasse zusammen: Damit das zarte Pflänzlein Deutschland nicht von wilden Staaten zermalmt wird und weil die Vorratsdatenspeicherung verfassungswidrig ist, müssen wir den Innenminister vor zu viel Transparenz schützen. So etwa verstehe ich Sosallas Argumentation.
Sosalla spricht sich nicht pauschal gegen Transparenz aus, sondern fordert eine Debatte über ihre Grenzen. Es ist schade, dass Sosalla dabei zuerst Angst vor der Veränderung schürt oder sie, je nach Lesart, zum Ausdruck bringt, statt die laufende Debatte aufzugreifen und zu bereichern. Die ist nämlich schon reichlich fortgeschritten und in Form des Informationsfreiheitsgesetzes rechtliche Realität. Ein Blick ins Inhaltsverzeichnis reicht um zu sehen, wo der Gesetzgeber der Transparenz Grenzen setzt. Das Bundesverfassungsgericht hat obendrein mit dem von Sosalla genannten Urteil eine obere Schranke für staatliche Transparenz festgelegt, nämlich dort, wo das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung des Bürgers berührt wird. Es ist also kaum denkbar, dass irgendwann polizeiliche Ermittlungsakten oder Steuerbescheide ins Internet gestellt werden müssen. Wünschenswert wäre das nach meiner Meinung hingegen für Verträge der öffentlichen Hand. Dem Geheimhaltungsinteresse der Unternehmen kann genüge getan werden, indem etwa Informationen zur technischen Umsetzung eines Projektes in nichtöffentliche Anhänge ausgelagert werden. Schon die Drohung, dass jemand das liest, könnte beispielsweise Vertragskonstruktionen wie die zur Elbphilharmonie unterbinden.
Zum Abschluss habe ich noch eine beruhigende Nachricht für Sosalla. Sie wird ihr Gehalt nicht ihrem Nachbarn offenbaren müssen. Das hat nämlich noch weniger mit der Sache zu tun. Hier geht es um die Rechte der Bürger untereinander und gar nicht mehr um das Verhältnis von Staat und Bürger.