Ulrike Sosalla, die „Kommentarchefin“ der Wirtschaftszeitung FTD, mischt sich in die Integrationsdebatte ein.
Das Wort [Migrationshintergrund] kommt mit einer gutmenschelnden Neutralität daher, es ist der größte gemeinsame Nenner und sehr allgemein: [...]
Wenn das so ist, dann gibt es ja noch einiges zu kürzen.
Aber ich möchte mich nicht nur belustigen. Ich möchte Frau Sosella auch erklären, warum von „Menschen mit Migrationshintergrund“ gesprochen wird. Die „Liberalisierung“ des Einbürgerungsrechts ist nicht ohne Grund geschehen. In Deutschland lebten damals viele Türken in der dritten Generation, die man nicht zurück in die Türkei schicken konnte, die aber auch nicht in die deutsche Gesellschaft integriert waren. Dass die Enkel der Einwanderer ihre Wurzeln nicht mehr in der Türkei sehen, ist wohl verständlich. Zur mangelnden Integration in die deutsche Gesellschaft haben die Deutschen wohl am meisten beigetragen. Eben nicht nur durch Versäumnisse im Bildungssystem, sondern auch, indem man diesen Menschen die deutsche Staatsbürgerschaft verweigert hat und sie so schlechter gestellt hat, zu Einwohnern zweiter Klasse degradiert hat. Dabei sollte man im Blick haben, dass Deutschland auch mit dem modernisierten Einbürgerungsrecht immer noch dem international Üblichen hinterherhinkt. Wer in einem Land geboren wird, bekommt normalerweise auch die Staatsbürgerschaft. In Deutschland hat man nur dann Anspruch auf die Staatsbürgerschaft, wenn ein Elternteil zum Zeitpunkt der Geburt bereits acht Jahre in Deutschland gelebt haben. Selbst nach geltendem Recht ist es also möglich, dass hier Kinder aufwachsen, die ihr Leben lang nicht Deutsche werden können.
Die Menschen, die durch die Reform die deutsche Staatsbürgerschaft erlangt haben, konnte man tatsächlich nicht mehr als „Ausländer“ bezeichnen. Auch waren sie keine Zuwanderer oder Migranten, sondern eben deren Kinder und Enkel. Von „Menschen mit Migrationshintergrund“ redet man nicht, um gutmenschelnd Neutralität zu wahren. Der Begriff ist fachlich richtig. Frau Sosalla bemängelt nun, dass sich unter diesem Begriff Menschen mit guter und mit schlechter Herkunft versammeln. Jedenfalls verstehe ich sie so, wenn sie sagt, dass sich darunter „auch die dänische Mutter mitsamt flachsblonder Tochter (süß), der japanische Diplomat (wichtig) und die Französin von nebenan (der Akzent!)“ tummelten und dabei ausspart, was in ihrem Sinne eigentlich mit dem Begriff gemeint sein soll.
Mich wundert, dass die Meinungschefin der FTD nicht erkennen mag, dass es sich mit dem Begriff „Ausländer“ nicht anders verhält: Auch er umfasst alle Nationalitäten. Vielleicht bemerkt sie auch nicht, welche Konnotation der Begriff für sie hat. Und erkennt nicht, dass sich zum Begriff „Menschen mit Migrationshintergrund“ die gleiche Konnotation in einigen Teilen der Bevölkerung zumindest entwickelt.
Niemand hindert Frau Sosalla daran, zu präzisieren, die muslimische Religion anzusprechen, den sunnitischen Familienhintergrund oder die türkische Abstammung. Stattdessen stellt sie es als kulturelle Leistung Sarrazins dar, Begriffen wie „Kopftuchmädchen, muslimische Deutschverweigerer [und] islamische Unterwanderung“ den Raum bereitet zu haben. Kraftbegriffe, die wohl kaum zur Versachlichung der Diskussion beitragen.
Sicher, Sosalla spricht nur über andere, über Sarrazin, Seehofer, die Grünen und die SPD-Funktionäre. Sie fordert selbst: „Wer die Debatte nicht den vermeintlichen Klartextrednern überlassen will, muss selbst klare Worte finden.“ Sie findet keine klaren Worte. Sie stellt Fragen. Ob es uns störe, wenn Frauen Kopftücher tragen. Ob jemand integriert sei, der Wohnung und Job habe oder ob er die Satellitenschüssel abbauen müsse, die das türkische Fernsehprogramm empfängt. Wer klare Worte fordert und solche Fragen stellt, ohne sie sofort zu beantworten, der muss sich Gegenfragen gefallen lassen: Hat Frau Sosalla wesentliche Errungenschaften der Abendländischen Kultur wie die Religionsfreiheit vergessen? Sollte man neben Kopftüchern nicht auch Baggy Pants verbieten? Was denn bitte stört an Kopftüchern? Darf sich der arbeitslose Brandenburger integriert fühlen? Ist Satellitenfernsehen unanständig oder ist es das nur, wenn man sich die türkische Fußballliga anschaut? Man kann nicht die Aufhebung der Denkverbote und die Entfesselung der Diskussion begrüßen, um sich dann fein herauszuhalten und den nun hoffähigen Populisten das Feld zu überlassen.
Deshalb möchte ich es mir nicht nehmen lassen, auf meine Art Position zu beziehen: Wenn es aus der Wohnung der türkischen Nachbarn immer so komisch riecht, dann liegt das vielleicht daran, dass die noch richtig kochen können. Integration ist Neugier auf- und Offenheit füreinander. Das beruht auf Gegenseitigkeit. Mit dem Gedanken kann man von Zuwanderern die Teilnahme an Sprachkursen fordern. Sprache ist für das Zusammenleben grundlegend. Ähnlich verhält es sich mit der Rechtstreue. Der Rechtsstaat ist für unsere Gesellschaft konstituierend, er ist der Boden, auf dem unsere Freiheit gedeihen kann. Wer aber fragt, ob wir Kopftücher tolerieren können, der übt Verrat an unserer Kultur, der stellt gleichzeitig die Freiheitlichkeit unser Gesellschaft zur Debatte.
Frau Sosalla lässt diese Fragen offen und schließt folgendermaßen:
Vielleicht stellen wir ja auch fest, dass wir einfach nicht reif sind für ein buntes Deutschland. Vielleicht sollten wir den Menschen da draußen empfehlen, ihren Migrationshintergrund lieber irgendwo anders auszuleben. Klar, Deutschland schrumpft, wir haben bald nicht mehr genug Fachkräfte, von den Rentenzahlern ganz zu schweigen. Aber tut uns leid. Wir sind einfach so 80er.
Ich stimme Ihnen zu, Frau Sosalla. Sie wird sicher kaum ein Ausländer als Nachbar haben wollen. Sobald Sie Bruchrechnen können, lesen Sie vielleicht auch mal Statistiken. Und vielleicht nehmen Sie zur Kenntnis, dass Sie auf eine Scheindebatte hereingefallen sind. Die ist so 90er. Inzwischen verlassen uns unsere Türken, und zwar gerade die, die am besten qualifiziert sind. Wenn ich Kommentare wie Ihren lese, kann ich's ihnen nur nachsehen.