Zyniker haben schon immer die Demokratie „Diktatur auf Zeit“ geschimpft. Auch wenn ich auf die Rechtsstaatlichkeit in der westlichen Welt vertraue, muss ich ihnen ein ganzes Stück weit recht geben. Die der Diktatur eigene Willkür lässt sich in Kleinigkeiten erkennen, beispielsweise im Steuergeschenk der aktuellen Bundesregierung an die Hoteliers, umgesetzt mit einer politischen Arroganz, die jeden Gedanken daran, dass im Parlament Volksvertreter säßen, denen das Gemeinwohl am Herzen läge, vergessen macht und allein auszudrücken scheinen will: „Das ist jetzt unser Staat, jetzt bedienen wir uns und unsere Leute.“ Manchmal lässt die Demokratie gar alle Prinzipien fallen. Die USA foltern, und politisch wird alles getan, um eine Verfolgung der Täter zu verhindern. Das sollte in einem Rechtsstaat undenkbar sein, trotzdem ist es nicht unmöglich.
Nun beginnt das Internet seine volle Kraft des Wandels zu entfalten. Dass der Kanal „Wikileaks“ heißt, kann man getrost als Randnotiz abtun. Es fing schon vor länger Zeit an zu tröpfeln. Einen der ersten Tropfen hat Barbara Streisand abbekommen und damit einem Internet-Phänomen ihren Namen gegeben. Unternehmen, die als ungerecht oder unehrlich wahrgenommen wurden, mussten Shitstorms (Vorsicht, Lobo) auf Twitter und in der Blogosphäre hinnehmen, die es bis in die etablierten Medien schafften. Das waren die ersten Sturmböen. Wikileaks lässt nun das Gewitter losbrechen. Wikileaks ist dabei kein Einzelphänomen. Mit Chryptome gibt es bereits eine weitere Plattform, weitere sind im Aufbau. Die neue Transparenz ist der technischen Entwicklung immanent. Das Internet ist da, und es ist konstruiert, sich nicht abschalten zu lassen. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass gerade das US-Militär, das mit dem Arpanet den Grundstein des heutigen Internets gelegt hat, um bei der Analogie zu bleiben, die ersten Blitzschläge hinnehmen muss.
Ohne, dass auch nur eine Verfassung geändert werden musste, wird das Prinzip Rechtsstaat durch das Internet um etwas ergänzt, was ihm bisher fehlte: Eine aktive, permanente, unmittelbare Kontrolle der Politik durch das Volk. Lassen wir uns davon nicht erschüttern und machen wir weiter. Wir, das Volk, sollten aber eins zur Kenntnis nehmen: Die da oben™ sind auch nur Menschen. Wenn wir ehrliche, aufrichtige, gerechte Politiker wollen, werden wir Demut ihnen gegenüber lernen müssen. Sonst wird uns keiner mehr regieren wollen.