Der Medienkritiker Stefan Niggemeier berichtete vor drei Tagen in seinem Blog darüber, dass „Bild” sich in letzter Zeit bei Wahlen und Bürgerentscheiden regelmäßig auf die Verliererseite gestellt habe. Niggemeier prangert dabei an, dass mit freundlicher Berichterstattung belohnt werde, wer exklusiv mit „Bild” zusammenarbeite. Und er „freut” sich darüber, dass „Bild” damit im Fall Althaus gescheitert sei.
Es mag sein, dass die Macht von „Bild” schwindet. Überrascht hat mich dann aber doch folgende These:
Wer aber eine Zeitung nach den Interessen solcher Seilschaften ausrichtet, darf sich nicht wundern, wenn sich das Publikum abwendet. Seit Kai Diekmann Chefredakteur ist, hat die „Bild”-Zeitung weit über eine Million oder ein Viertel ihrer Käufer verloren. Sicher nicht nur aus den beschriebenen Gründen, aber womöglich auch.
Tatsächlich sinkt die Auflage der „Bild”-Zeitung seit langem. Ich habe einmal Daten von IVW zusammengestellt, aufbereitet und grafisch dargestellt. Ich habe mir exemplarisch vier Publikationen herausgesucht, um mir anzuschauen, wie „Bild” im Verhältnis zu Mitbewerbern abschneidet. Dabei habe ich stets den größten Topf ausgewählt, also alle Rubriken, alle Samstagsausgaben usw. Unter den Publikationen, die ich ausgewählt habe, sind zwei Tageszeitungen, nämlich „Der Tagesspiegel” und die „Süddeutsche Zeitung”. Den „SPIEGEL” habe ich mit hinzugenommen, weil ich den Online-Auftritt für besonders relevant halte, aber dazu später. Aus den Diagrammen, die die Verbreitung jeweils im zweiten Quartal einmal absolut und einmal relativ mit den Zahlen von 2004 als Grundlage darstellen, wird deutlich, dass die Verbreitung von „Bild” stärker fällt als die aller anderen Publikationen, wenn auch auf hohem Niveau.
Ganz anders sieht die Sache aber aus, wenn man sich einmal die Zugriffszahlen der Onlinepräsenzen anschaut. Ich muss anmerken, dass die Zahlen des Tagesspiegels von 2004-2006 auf „meinberlin (Der Tagesspiegel, Zitty)” beruhen. Ich bin dem im Detail nicht nachgegangen, da „tagesspiegel.de” die am wenigsten interessanten Zahlen bietet. Dargestellt sind jeweils die Pageimpressions und Visits vom Juli des betroffenen Jahres. Auch hier habe ich die Zahlen absolut und relativ dargestellt.
Deutlich ist zu sehen, dass „bild.de” sich anschickt, von den Visits her zu „spiegel.de” aufzuschließen. Nur „sueddeutsche.de” erreicht ein vergleichbares Wachstum, aber auf deutlich niedrigerem Niveau. Beim Wachstum lässt „bild.de” „spiegel.de” weit hinter sich.
Schauen wir auf die Klicks.
Hier ist das Bild noch deutlicher. „bild.de” ist in absoluten Zahlen führend und hängt beim Wachstum alle anderen Sites deutlich ab.
Zwar ist die Zahl der Seitenzugriffe online nicht direkt mit der Zahl der verkauften Druckerzeugnissen vergleichbar. Allein auf Grundlage der verkauften Zeitungen zu behaupten, „Bild” verliere Leser, halte ich allerdings für gewagt. Das darüber hinaus auf die politischen Kampagnen zurückzuführen, entbehrt jeder Grundlage. Auf Niggemeiers „womöglich auch” kann man deshalb wohl nur antworten: „Wahrscheinlich nicht.” Das beschriebene Phänomen fallender Leserzahlen existiert nämlich vermutlich gar nicht.
Für eher plausibel halte ich die These, dass es „Bild” verhältnismäßig gut gelingt, im Onlinegeschäft Fuß zu fassen. Möglicherweise wird im Verlag auch das Onlinegeschäft auf Kosten des Print-Geschäfts gefördert. Niggemeier als Medienblogger sollte so eine unternehmerische Entscheidung nicht überraschen.
Nachtrag 21:42: Zum Vergleich online/print sei noch hinzugefügt, dass sich die Visit-Zahlen auf einen Monat beziehen. 105 Mio. Visits entsprechen also etwa 3,5 Mio. Besuchen am Tag. Jeder Besucher auf „bild.de” macht etwa 14 Klicks. Dem gegenüber stehen 3,24 Mio. Zeitungen am Tag. Zumindest ist zu sagen, dass der Onlinebereich bestimmt nicht irrelevant ist.
22:16: Kleine Korrekturen